Meine Geschichte beginnt in meinem sechsten Lebensjahr. Nein, eigentlich schon früher, aber das ist der Unwichtigste Teil von all dem. Nicht, mit dem du deine Zeit verschwenden müsstest.
Ich war sechs Jahre alt. Ich war jung, naiv, glücklich,- ein Kind. Ein Kind mit Freunden, Familie, Freude. Ich lebte in einem unglaublichen Haus zusammen mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder Benjamin. Er war 3, als ein einziger Abend das Glück unserer Familie für immer zunichte machte. Dabei verlief zunächst alles wie immer. Ich erinnere mich, vom Ballett nach Hause gekommen zu sein. Benji schlief längst und auch für mich war es längst Zeit, ins Bett zu gehen, um fit für den Schulanfang zu sein. Mum und Dad schienen wieder einmal über irgendwelche Erwachsenendinge zu streiten. Ich wusste, dass mich das nichts anging, also versuchte ich verzweifelt, das Gebrüll zu ignorieren und zu schlafen. Wenige Stunden später wachte ich auf. Unten hörte ich meine Mutter schulchzen, gefolgt von dem Klirren einer Glasflasche. "Verschwinde!", hörte ich sie sagen, und genau das tat ich. Am nächsten Morgen weckte mich meine Tante Fedra und alles war anders. Sie erklärte mir und Benji, dass Dad weggegangen sei und nicht mehr wieder kommen würde. Und sie machte uns klar, dass unsere Mutter 'etwas Zeit für sich' brauchte. Diese Zeit sollte ganze 20 Jahre andauern. Von diesem Tag an wohnten Benji und ich bei meiner Tante, ihrem Mann und ihren zwei Töchtern Alex und Amelia.
Wir wurden älter und unsere Vergangenheit suchte uns mit der Zeit nicht mehr in jeder Nacht heim. Albträume davon, verlassen zu werden, wurden zur absoluten Ausnahme. Mittlerweile waren Alex und Amelia meine Schwestern für mich geworden und ich entdeckte meine Begabung dafür, andere - besonders Alex- aus misslichen Situationen heraus zu boxen. Mein Wunsch, später einmal eine brilliante Anwältin zu werden, wurde schließlich zu meinem festem Ziel. Ich ging an die Columbia University of Law in New York und studierte dort Jura. Mein Leben schien endlich wieder gut zu laufen, als ich einen Anruf aus New Orleans erhielt, der mich gerwadewegs zurück zu meinem 6 jährigen Ich warf. Benjamin war in einen tödlichen Autounfall verwickelt worden. Mein Bruder war nicht mehr da.
Während der Rest meiner Familie in dieser Zeit näher zusammenrückte, denn je, versuchte ich so viel Abstand wie nur möglich zwischen ihnen und mich zu bringen. Jede Art von Kontakt fühlte sich für mich falsch an. Es war dumm von mir so zu fühlen, doch Alex und ihre Familie zu sehen führte mir nur noch mehr vor Augen, was ich nicht hatte. Sie standen für alles, was ich verloren hatte. Ich war 21 Jahre alt und hatte eine Festung um mich herum erbaut, die mich zur Einsamkeit verdammte.
Die Jahre zogen ins Land und niemand dachte mehr an den Paulsenjungen, der viel zu früh sein Leben hatte geben müssen. Mittlerweile hatte ich mein Studium als Jahrgangsbeste abgeschlossen und war zurück nach New Orleans gezogen, wo ich mir einen Job in einer angesehenen Kanzlei suchte und seitdem dort als Anwältin für Strafrecht arbeite, wenn ich meiner Cousine nicht gerade auf die Nerven gehe.